2000-2001

Als Schwester Sonia von den Steyler Missionaren das Barrio Gottchalk entdeckte, war es ein Armenviertel von Vielen in dem heute so elend verarmten Argentinien.

Hütten im Barrio

Zerlumpte Kinder, deren Alltag mit Elend, Gewalt und Hunger geprägt war, kennzeichneten das Bild dieses Viertels in Posadas / Argentinien, das für alle anderen Leute „das Viertel der Vergessenen“ genannt wurde. Die meisten dieser Menschen kommen aus dem Landesinneren und wurden von den Politikern, die ihnen ein „besseres Leben“ versprachen, an den Stadtrand gelockt. Für eine Wahlstimme erhielten sie ein kleines Stück Land, das in Wahrheit einem Großgrundbesitzer gehört, und ein paar Bretter, um sich eine enge Hütte zu zimmern.

Das Barrio Gottschalk

Nach den Wahlen zogen sich die Politiker zurück und waren zufrieden, einen neuen Wahlsprengel eröffnet zu haben. 

Was blieb, waren die paar Bretter Holz und ein Land, das kaum so groß ist, um einen Acker anzulegen und vor allem Hoffnungslosigkeit und Hunger, die die meisten Leute in Alkohol ertränken. Für die meisten Kinder und Frauen bedeutete dies, immer wieder von Neuem im Kreislauf von Gewalt und Missbrauch hineingezogen zu werden. Kinder bekamen wieder Kinder, deren Väter meist unbekannt waren oder wegen Raubdelikten im Gefängnis saßen.

Kaum jemand wagte sich in diese Gegend, weil dort angeblich lauter Kriminelle lauerten. So schienen diese Menschen auch nicht in der Volkszählung auf und waren im Gemeindeamt unbekannt, was bedeutete, dass die Kinder auch keinen Zugang zu Schulen hatten und Eltern keinen Anspruch auf soziale Hilfe.

Auch Schwester Sonia, die im Jahr 2000 in die Nähe des Viertels umgezogen war, wurde davor gewarnt.

Es sollte aber nicht lange gehen, bis Sonja eines eisig kalten Wintermorgens halb verhungerte und spärlich bekleidete Kinder aus dem Viertel kommen sah und allen Warnungen zum Trotz „Basta“ sagte.

Sonja: "Basta!"

Sie wollte diesem Elend mit den wenigen Mitteln, die sie hatte ein Ende setzen und stapfte noch am selben Tag gemeinsam mit einer ihrer Ordensschwester und einem Kessel Wasser ins Viertel, um den Kindern auf offenem Feuer am Boden Tee zu kochen.

Anfangs zogen Sonia und ihre Ordensschwestern noch von Haus zu Haus in der Nachbarschaft, um Tee, Zucker und wenn möglich um etwas Trockenmilch zu bitten.

So versuchten sie mühsam eine kleine Nothilfe zu leisten, damit diese Kinder wenigstens einmal pro Tag etwas Warmes bekommen. Mit der Zeit erklärte sich auch ein Bäcker bereit, das Brot vom Vortag den Kindern zu überlassen. Die Nachricht, dass die Schwestern täglich Tee ausschenken, verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Viertel, sodass bald schon über 50 Kinder schon frühmorgens hungrig auf eine Tasse Tee mit Brot warteten. Da es im Winter oft regnete, suchten die Schwestern mit den Kindern eine leerstehende Hütte auf, um wenigstens ein Dach über dem Kopf zu haben. Doch bald meldeten sich die vermeintlichen Besitzer und so wurde es nötig, auf vier Holzpfählen eine Plastikplane zu spannen, die der Grundstein für die heutige Kantine werden sollte.

Als die Mittel immer knapper wurden, entschieden sich Sonja und ihre Schwestern um Unterstützung zu bitten, indem sie Zeitungsartikel veröffentlichten und sogar einmal beim Lokalfernsehsender zu Gast waren. Mit einer breiteren Unterstützung wollten sie es nämlich schaffen, den Kindern eine tägliche Mahlzeit bieten zu können.(ihre einzige Mahlzeit am Tag)

Zum Nationalfeiertag planten sie öffentlich auf dem Marktplatz typisch argentinische Teigtaschen zu verkaufen, um Spenden für das Viertel zu bitten. So ergab es sich, dass fortan ein Fleischer und eine Gemüsehandlung das Übergebliebene den Kindern und Schwester Sonia überließen. 

An diesem 25.Mai, dem Nationalfeiertag Argentiniens, lernten Christiane Rein und Philipp Röser aus Österreich, am Marktplatz von Posadas zufällig Sara Lier aus Deutschland kennen. Alle drei absolvierten einen sozialen Dienst in Argentinien. Sara kannte Schwester Sonia bereits und stellte ihr Christiane und Philipp vor, die gleich am nächsten Tag das Viertel kennen lernten und nicht mehr von ihm los kommen sollten...

Seit diesem Tag konnte täglich für die Kinder ein einfacher Eintopf gekocht werden und mit weiteren Spenden drei mal pro Woche eine Nachmittagsjause ausgegeben werden. Sara, Christiane und Philipp hatten die Möglichkeit mitzuhelfen und damit eng an den Geschehnissen, Nöten und Entwicklungen im Viertel dabei zu sein.

Das wohl faszinierenste und berührenste an der Begegnung mit den Menschen aus dem Viertel war die Offenheit, Fröhlichkeit und vor allem die Freude der Kinder, wenn wir mit ihnen Zeit verbrachten. Trotz der bitteren Armut war ein Lachen und eine Heiterkeit unter den Kindern zu spüren, was uns jedes Mal aufs Neue überwältigte.

Bewegend war auch die Gastfreundschaft, mit der uns die Erwachsenen des Viertels begegneten. Obwohl sie selbst kaum etwas in ihren bescheiden Holzhütten hatten, teilten sie das wenige, das sie hatten, mit uns und ließen nicht zu, wenn wir ihre Einladung auf einen Maté Tee mit Brot nicht nachkommen wollten. Sie erzählten uns, wie froh sie waren, wieder als „Menschen“ und nicht mehr bloß als „Arme“ gesehen zu werden. Diese tiefe Erfahrung und die Gespräche mit den Menschen aus dem Viertel waren für Sara, Christiane und Philipp eine unvergesslich bereichernde Erfahrung, die ihnen Mut gab, ihre Familien und Freunde in Europa um Unterstützung zu bitten. 

Zu dieser Zeit fehlte es im Viertel nämlich noch an elementarsten Infrastrukturen, die ein halbwegs würdiges Leben erlaubt hätten. Das Grundwasser war damals vor langer Zeit durch eine Holzfirma verseucht worden, weshalb die Kinder an Ausschlägen und Parasiten litten und meisten an Durchfall erkrankten und auch nicht selten daran starben. Auch die Erde war nicht nahrhaft genug, um Gemüse gedeihen zu lassen, bzw. hatten die Menschen auch keinen Zugang zu Samen, noch Möglichkeiten zum Anbau eines Ackers. 

So galten die ersten Bemühungen dem Bau eines perforierten Brunnens, der tief genug war, um das Wasser ordentlich zu filtern , sowie dem Anlegen eines Gartens, der das Gemüse für den Eintopf der Kinder- Kantine liefern sollte.

Das Arbeitsmotto beziehungsweise die Philosophie die hinter der Arbeit im Viertel lag, war bzw. ist in erster Linie die Hilfe zur Selbsthilfe, sowie das Arbeiten mit anstatt für die Menschen. 

Patrick Rein beim Verteilen des Essens

„Niemand ist so reich, dass er nichts empfangen kann und niemand so arm, dass er nichts geben kann“ lautet der Grundsatz von Schwester Sonia, den sie im täglichen Zusammenarbeiten mit den Menschen umzusetzen versuchte. 

Gerade im Jahr 2001 erreichte die Wirtschaft Argentiniens den völligen Kollaps und stürzte das Land in eine Armut und vor allem Verzweiflung. Trotz allem konnte unser Projekt langsam wachsen und die Menschen im Viertel schöpften Hoffnung in einer Zeit, in der eigentlich überall Hoffnungslosigkeit zu spüren war.

Vielleicht war es genau das, was einige Menschen aus dem Umkreis des Viertels dazu veranlasste, mitzuhelfen, wie und wo man konnte.

So entstand rund um Sonia und ihre Schwestern ein kleines Team aus der Pfarrgemeinde, das sich die Aufgaben und Verantwortungen im Viertel teilte.

Die größte und sicher auch mühevollste Arbeit war nicht das Kochen, der Bau von Brunnen und Garten, sondern die Bewusstseinsbildung der Menschen im Viertel. Grundsätzliche Dinge, wie Hygiene und Pflege der Kinder wurden bzw. werden ihnen nahe gebracht.

Ermutigung zur Selbstverantwortung für ihr Leben ist ein Hauptanliegen.

Zwei Lauserinen

Durch Rundbriefe von Sara, Christiane und Philipp wurden die Menschen, vor allem natürlich die Kinder in Österreich und Deutschland bekannt und auch liebgewonnen und großzügig unterstützt, sodass die Kantine erweitert werden konnte und die Wände mit Ziegelsteinen geschlossen werden konnten. Von Österreich aus wurde ein Kleidercontainer nach Argentinien geschickt, den Schwester Sonia für einen Kleidermarkt verwendete, da sie den Menschen – wie es so oft in anderen Entwicklungsprojekten üblich ist – die Kleider nicht einfach schenken wollte. Jeder sollte für das, was er erhält, auch einen kleinen Beitrag leisten, was Sonia in diesem Fall in Form einer Mithilfe verstand.

So konnten vor allem die Frauen beim Verkauf der Kleider helfen und dafür für einen gewissen Betrag selbst Kleider mitnehmen.